Charterboot-Test: Nicols Estivale Octo – Wannsee

Skipper 12/2020: Charterboot-Test "Wannsee" - Nicols Estivale Octo

Skipper-2020-12 Charteboot-Test: Nicols Estivale Octo Wannsee

Zugegeben – ständig mit einem ganzen Ensemble außenbords hängender Fender spazieren zu fahren, sieht nicht gerade hübsch aus und widerspricht obendrein den im Bootsführerschein-Lehrbuch beschriebenen seemännischen Gepflogenheiten. Doch für die 13,50 x 3,80 m messende Nicols Estivale Octo müssen wohl ohnehin andere »Regeln« gelten, da es sich hier um ein waschechtes Charterboot handelt. Und da das Thema Sicherheit natürlich nicht nur in Corona-Zeiten an oberster Stelle rangiert, lassen wir die 16 schwarzen Gummipuffer jetzt einfach mal da, wo sie sind. Das passt dann schon!

Dass der aus französischer Produktion stammende Kunststoff-Kreuzer bezüglich seiner gewöhnungsbedürftigen Proportionen auch insgesamt kein optischer Leckerbissen ist, sei nur am Rande erwähnt. Die einleuchtenden Vorteile dieses konsequent auf Zweckmäßigkeit getrimmten Wasserfahrzeuges beziehen sich aufs unkomplizierte Handling und insbesondere auf das sehr gute Platzangebot. Zwei wesentliche Eigenschaften, auf die vermutlich jede Leihschiff-Crew gesteigerten Wert legt. Der Hamburger Kaufmann und erfahrene Charter-Unternehmer Manfred Römer, 70, begann mit dem kommerziellen Bootsverleih im Jahre 1996, wobei die gegenwärtig im Fuhrpark befindlichen zwölf Hausboote und 17 Motoryachten natürlich deutlich jüngeren Datums sind. Die zur Wahl stehenden Bootstypen bilden eine bunt gemixte Flotte und verteilen sich auf zwei Start- und Zielhäfen, nämlich jenen im mecklenburgischen Rechlin am südlichen Randgebiet der Müritz, und die idyllisch gelegene Marina im brandenburgischen Fürstenberg. Yachtcharter Römers Geschäftssitz in Buchholz bleibt auch nach der im April 2020 besiegelten strategischen Partnerschaft mit der Firma Kuhnle-Tours bestehen. Mit ihrer für die Nicols-Boote typischen grün-weißen Farbgebung ist die am Fürstenberger Übernahmesteg vertäute »Wannsee« nicht zu übersehen. Das gute Stück wurde von unseren Vorgängern rückwärts eingeparkt, so dass man über den Badesteg bequem ins 2,70 x 3,45 m große Achtercockpit gelangt. Hier lässt sich mittels des ovalen Tisches und der vorhandenen Klappstühle eine Freiluft-Sitzgruppe formieren, bei Bedarf sorgt eine ausziehbare Markise für Beschattung. Beidseitig in die innere Bordwand eingeformte dreistufige Treppen führen auf das umlaufende, mit 29 cm ausreichend breite Gangbord, dessen von einer Niro-Reling umgebene Trittfläche eine grobe Antirutsch-Struktur aufweist. Folglich ist die Ankerinstallation an der Bugspitze jederzeit risikolos zu erreichen. Eine gern genommene Besonderheit der im Februar 2011 in Dienst gestellten Nicols Estivale Octo ist der dreisitzige Open-Air-Steuerstand. Allerdings wurde die Flybridge sehr simpel gehalten, auf Luxus jeglicher Art muss man daher verzichten.

Wir setzen den Bordrundgang nun im 190 cm hohen, großflächig verglasten Deckssalon fort und notieren zunächst, dass es zwölf für eine gute Ausleuchtung zuständige LEDSpots gibt. Die Backbordseite wird von der 180 cm langen Pantryzeile beansprucht, die einen vierflammigen Gasherd, einen Backofen, eine Doppelspüle und den inklusive Eisfach 194 Liter großen Liebherr-Kühlschrank beherbergt. Steuerbords schließt sich die zur Bedarfsdoppelkoje wandelbare Sitzcouch an, während man es in Fahrtrichtung mit zwei Zweierbänken zu tun bekommt. Der Skipper und drei Besatzungsmitglieder blicken also beim Wasserwandern nach vorn und beobachten aus einer erhöhten Sitzposition das Geschehen. Dass im geruchsneutralen Salon- und Kabinentrakt der »Wannsee« nach immerhin zehnjährigem Einsatz und 4.025 angezeigten Motorstunden kaum Abnutzungserscheinungen oder gar nennenswerte Beschädigungen zu beklagen sind, sei an dieser Stelle ausdrücklich hervorgehoben.

Skipper-2020-12 Nicols Estivale Octo Innenansichten
  1.  Der auf einer Ebene mit dem Achtercockpit inszenierte Salon punktet mit viel Platz. Die für jeweils zwei Crewmitglieder gedachten und erhöht angeordneten Sitzbänke erlauben eine gute Rundumsicht.
  2. Die »Wannsee« verfügt über zwei große Sanitärraume mit Elektro-WC und Dusche
  3. In den beiden identisch bemessenen Bugkabinen lassen sich die Einzelkojen in Sekundenschnelle zusammenschieben.
  4. Blick in die ebenfalls zweifach vorhandene Mittelkabine, die eine Doppelkoje birgt

Zwei Treppenstufen führen hinab zum 58 cm tiefer gelegenen und gut 2,80 m langen Kabinenflur. Die flüchtige Stippvisite bringt die Erkenntnis, dass die beiden Mittelkabinen, die beiden Sanitärabteile und auch beide Bugkabinen jeweils identische Abmessungen und Einrichtungen aufweisen – selbstverständlich aber mit »spiegelverkehrter« Anordnung des Mobiliars. Die Mittelkabinen beherbergen bei bis zu 190 cm Deckenhöhe eine niedrig angesetzte und teils unterflur postierte Zweierkoje von 190 x 135 cm. Kleinere und auch größere Kinder werden sich hier bestimmt besonders wohlfühlen. In den 184 cm hohen Bugkabinen stehen zwei Einzelkojen, die sich zwecks trauter Zweisamkeit binnen weniger Sekunden zusammenschieben lassen. Unter den unter lüfteten und elf Zentimeter dicken Matratzen kommt reichlich Stauvolumen für Langtörn-Proviant in fester oder flüssiger Form zum Vorschein, während die Kleidung und das persönliche Handgepäck der Bewohner in offenen Kleiderschränken einsortiert wird.

Die stillen Örtchen mit einheitlichen 185 cm Deckenhöhe und praxisgerecht dimensionierten integrierten Duschzellen sind entweder vom Flur oder direkt von den Bugzimmern aus zugänglich. Die Toiletten spülen elektrisch und relativ leise, die Waschbecken sind mit einer Mischarmatur versehen, und auch an drei Handtuch-Häkchen wurde gedacht. Zu hinterfragen sind lediglich die als zu schwach empfundenen Wandbeleuchtungen und der Umstand, dass wir bei unserem Bordaufenthalt ohne ersichtlichen Grund mit lauwarmem Wasser vorlieb nehmen mussten. Ansonsten gilt hier und da die vielsagende Bewertung »alles im grünen Bereich«.

Skipper-2020-12 Nicols Estivale Octo Aussenansichten
  1. An der Bugspitze der Nicols Estivale Octo gibt es eine nette kleine Freiluft-Sitzgruppe
  2. Wenngleich die Flybridge recht karg ausfällt, ist der Open-Air-Steuerstand ein Highlight
  3. Eingeformte Stufen stellen die Verbindung zwischen Achtercockpit und Gangbord her
  4. Als durchaus sinnvolles Detail sehen wir die Seitentüren in der achterlichen Bordwand
  5. Obwohl der Plastik-Look dominiert, fühlt man sich im Achtercockpit gut aufgehoben

Angetrieben wird die laut der geltenden CE-Klassifzierung D zum Befahren von »geschützten Gewässern« konzipierte Nicols von einem bewährten Volvo-Diesel. Der vierzylindrige D2-75 leistet aus 2,2 Litern Hubraum 55,1 kW (75 PS). Wir lösen die Leinen und legen ab. Der unbelastet rund neun Tonnen schwere Verdränger lässt sich dank Bugstrahler-Assistenz einwandfrei aus der Marina dirigieren, im Fahrwasser der Havel stehen mit minimalen 800 min-1 ganz genau 2,1 Knoten auf der Uhr. Die 1.600-Touren-Messung ergibt ein entspanntes Reisetempo von 5,4 Knoten beziehungsweise zehn Stundenkilometern, und dies bei einer Geräuschemission um die 63 dB(A). Das Ende der Fahnenstange ist bei 2.300 min-1 und sieben Knoten oder 13 km/h erreicht, wobei nun nach wie vor erträgliche 71 dB(A) in die Ohren der Besatzung dringen. Die »Wannsee« fährt bei geringer Wellenbildung tadellos geradeaus und beweist ungeachtet ihrer wuchtigen Silhouette ein gutes Einlenkverhalten.

Beim Andocken im Hafen ist dennoch ein bisschen Fingerspitzengefühl gefragt, zumal leider kein Heckstrahlruder vorhanden ist. Als gutgemeinte Faustregel gilt umso mehr, am Steuerstand ruhig und besonnen zu agieren. Und im äußersten Notfall hat man ja mehr als ausreichend Fender dabei ...

Yachtcharter Römers nicht mehr ganz taufrische, aber professionell gepflegte und entsprechend saubere Nicols Estivale Octo hinterlässt im Charterboot-Test einen prima Eindruck. Besonders gut gefallen hat uns die durchdachte Raumaufteilung, die es erlaubt, mit sechs bis acht Personen an Bord in See zu stechen. Wenn sich die Crew dann noch mit dem Fehlen eines Heckstrahlers arrangiert, steht einem tollen Urlaubstörn eigentlich nichts mehr im Wege.

Text & Fotos: Peter Marienfeld

Quelle: Zeitschrift "Skipper" Ausgabe 12.2020

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